von der Mittagsfrau

Als Feldgeist, der in der Glut des Sommermittags über die Fluren streift und dem Menschen schaden will, betrachteten die Sorben die Mittagsfrau.

Sie trifft fast immer auf Flachs jätende Mädchen und Frauen, die während der Mittagszeit auf dem Feld geblieben sind. Männer belästigt sie selten.

Hier gibt uns die Sage gleichzeitig einen Einblick in die soziale Struktur vergangener Zeit. Die Mägde der Bauern und Junker bekamen neben einem sehr bescheidenen Lohn ein Stück Feld mit Flachs besät, das sie selbst, pflegen und ernten mussten. Das Jäten war eine besonders wichtige Arbeit und konnte oft nur in der Mittagspause verrichtet werden. Wie oft mögen dann Erschöpfung oder gar Tod durch Sonnenstich dem Wirken der Mittagsfrau zugeschrieben worden sein!

In der Sage verlangt dieser Felddämon, dass man ihm bis zum Glockenschlag eins vom Flachs erzähle. Wer es nicht vermag, den trifft der tödliche Schnitt der Sichel. Der einfältige Hirt wird ihr Opfer, das kluge Mädchen aber überlistet die Mittagsfrau und vertreibt sie für immer von unseren Fluren.

der Hirt bei Jesau

Zwischen Jesau und Deutschbaselitz weidete ein Hirt gern seine Schafe auf dem Felde, das heute wüst liegt und von großen Steinen übersät ist. Er saß oft unter einer Eiche, schaute den Wolken nach und träumte.

So überhörte er einmal das Mittagsgeläut im Dorf und vergaß seine Herde heimzutreiben. Die Schafe lagen satt und schläfrig zu seinen Füßen. Da zeigte sich plötzlich die Mittagsfrau. Sie stierte ihn boshaft an und verlangte: »Erzähle mir von deinen Schafen!«

Der Hirt, zu Tode erschrocken, suchte alles zusammen, was er nur wusste, und erzählte stotternd. Aber die Zeit schlich gar langsam dahin und es war kaum eine halbe Stunde vergangen, da wusste er nichts mehr zu sagen. Ängstlich hoffte er auf den Schlag der Turmuhr im Dorf - aber die Mittagsfrau stand unbarmherzig neben ihm.

Was dann geschah, weiß niemand. Als er mit der Herde nicht heimkehrte, suchten ihn die Leute. Doch sie fanden nur einen größeren Felsblock und viele Steine um ihn herum. Die Mittagsfrau hatte Hirt und Herde zu Stein verwandelt.

in den "Tannachen" lag bis zum Bau des Klärwerkes eine Gruppe von Findlingen, die sogenannten "Schäfersteine", sie sind möglicherweise der Ursprung dieser Sage.

die besiegte Mittagsfrau

Einst hatte sich ein Mädchen beim Flachsjäten auf dem Felde verspätet, es hatte das Läuten der Mittagsglocke im Dorf nicht gehört. Da tauchte die Mittagsfrau auf. Das Mädchen bemerkte gerade noch, wie das scheußliche Weib hinter ihm stand und schon die Sichel hob, um es zu töten. Es sprang auf, raffte ebenfalls eine Sichel vom Feldrain und rief blitzenden Auges: »Ich fürchte mich nicht!« Das Weib wunderte sich. »Auch vor der Mittagsfrau nicht?« Das Mädchen erwiderte: »Vor niemandem!« Die Mittagsfrau lachte hämisch: »Du gefällst mir!« Darauf das Mädchen: »Und du mir gar nicht, es sei denn, dass du deine Sichel weglegst!« Die Mittagsfrau tat es und sagte: »Ich will dir dein Leben lassen, wenn du mir eine Stunde lang vom Flachs erzählen kannst!«»Nun, dann hast du verloren«, lachte das Mädchen, »denn warum sollte ich das nicht können?« Und es nahm sich vor, beim Sprechen jedes Wort recht lang zu ziehen; umso leichter würde es gewinnen. So begann es zu berichten:

»Mit dem Flachs hat man viel, sehr viel Arbeit. Schon im Herbst sucht der Bauer das beste Feld für den Flachs aus, ackert und eggt es, damit es von Unkraut rein sei. Sobald der Schnee abgetaut ist, wird der Acker mit dem Spaten umgegraben. Dann wird er mit eisernen Rechen fein gekrümelt und glatt gerecht, sodass er eben wie eine Tenne ist. Nun wird der beste und reinste Samen ausgesät. Junge Mädchen treten ihn Schritt für Schritt in die Erde ein. Ja, mit dem Flachs hat man sehr, sehr viel Arbeit! Manchmal picken Vögel die Körnchen auf und wer es mit dem Wetter nicht getroffen hat, dem zerstören Fröste die Saat.
Ist der Frühling vorgeschritten und grünt das Feld, dann eilt die fleißige Bauersfrau hinaus, um alles Unkraut auszujäten. Bald blüht der Flachs und groß ist die Freude, wenn die Stängel bei günstigem Wetter recht lang gewachsen sind. Die Ernte ist da und beim Morgentau oder auch bei feuchtem Wetter gehen Frauen und Mädchen aufs Feld. Sie raufen den Flachs aus und breiten ihn auf der Erde aus. Zu lange darf er nicht liegen, denn der Samen könnte aus den braunen Köpfchen rinnen. Die Stängel müssen zur rechten Zeit gewendet, dann in Bündel gebunden und in die Scheune gefahren werden. Nun holt der Bauer den eisernen Kamm vom Boden und riffelt die Köpfe von den Stängeln.

Welch herrlicher Samen wird aus ihnen gedroschen! Wird man ihn verkaufen? Nein und dreimal nein! Der Knecht wird jede Woche einmal zur Ölmühle fahren. Denn Leinöl braucht der Bauer so nötig wie das tägliche Brot. Man isst Kartoffeln und Leinöl; Salat und Gurken werden mit Leinöl gemacht. Und wem würde wohl Kuchen schmecken, in dem nicht genügend Leinöl wäre? Und wenn alle Butter in der Stadt verkauft worden ist, dann schmeckt auch eine Schnitte mit Leinöl. Die gebündelten Flachsstängel werden in einen Bach gelegt, damit sie etwa eine Woche wässern. Dann wird der Flachs auf Stoppelfelder gefahren und von der Hausfrau und den Mägden so aufgestellt, dass die Bündel unten recht weit auseinanderstehen. Oben werden sie mit einem Strohseil zusammengehalten. Nach einigen Tagen wird das Seil nach unten geschoben, und der obere Teil kann austrocknen.
Wenn die kalten Herbstwinde über die Felder wehen, wird der Flachs in den Backofen gestellt, um zu dörren. Dann kommt er zum Brechen und Hecheln. Dabei fallen alle holzigen Teile als kleine Schuppen zur Erde. Das Werg, das sind die langen Fasern, behält die Hausfrau in der Hand. Es wird zum Rocken zusammengebunden. Nun holt man die Spinnräder vom Boden und die jungen Mädchen eilen an den langen Winterabenden zur Spinnstube und zur fröhlichen Unterhaltung. Das gesponnene Garn lässt man weben und wenn die Wiesen wieder grünen, wird das noch graue Linnen schneeweiß gebleicht ...«
Wie im Fluge verging die Zeit und noch ehe das Mädchen mit seinem Bericht fertig war, schlug die Uhr eins. Die Mittagsfrau sagte: »Du hast gewonnen, ich bin überwunden und als Besiegte kehre ich nie mehr zurück!« Nach diesen Worten verschwand sie, ließ dabei sogar ihre Sichel liegen und kein Mensch ist ihr seitdem jemals wieder begegnet.

 

mit freundlicher Genehmigung des DOMOWINA-Verlages, aus dem Buch "Sagen der Lausitz"